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Essay zur Bricolage - Kunst als ewige Baustelle

Veröffentlicht am 07.09.2022

Anleihen an studentische Wohnkultur und Punk, Verpackungsmüll, das verwackelte Video - unambitionierter Pfusch?

... Nö ! Die Bricolage als (Stil) - mittel in der Kunst reiht sich ein in einen Katalog künstlerischer Äußerungen seit den 60er Jahren, die dem überlieferten bürgerlichen und überwiegend westlichen Kunstbegriff, der an die von vornherein vermeintlich zielgerichtete, höchstmögliche Arbeitsleistung des Individuums gebunden ist, den Kampf ansagen. Bei der Bricolage wird das Kunstwerk als Konstrukt verstanden, das seine Entstehungsbedingungen und Materialien nicht als "geheimnisvolles" Geniewerk verschleiert. Die Mittel sind nicht originär aber originell.

 

 

Es ist müßig zu streiten, mit welchen Begriffen man Kunstmittel belegen soll. Sicher passen immer mehrere Beschreibungen, und sicher ist das Phänomen Bricolage kein isoliertes, sondern tritt als ein Merkmal von vielen in Kunstwerken auf - häufig in Kombination mit Partizipation/verschiedenen Formen von Intersubjektivität, offenen, prozessorientierten Arbeiten, sozialem und politischem Engagement (wie etwa bei Thomas Hirschhorn) . Eine große Nähe besteht zum Fluxus. 

Und schließlich ist "Do It Yourself" ein gesellschaftliches Phänomen und Kunst ist immer gesellschaftlichen Phänomenen unterworfen."DIY" ist quasi die Lifestyle-Variante des anthropologischen Begriffs "Bricolage". DIY ist aber im "richtigen Leben" auch zu einem Wunsch nach Re-Identifikation mit praktischen Produkten des Alltagslebens geworden. Das Selbermachen und nicht-perfekt-machen ist ein Akt der Emanzipation. Zum anderen existiert diese Haltung als Geste, die sich letztlich auf der bloßen Design-Ebene als pseudohandschriftliches "hmmm-lecker" -Gekritzel auf der Kekspackung niederschlägt. Durch solche Gesten sollen wir uns quasi "per Du" mit der Warenwelt fühlen.

Beides - Bricolage als Stil und als Haltung/Überzeugung, findet sich auch in der Kunst wieder.

Auf Paletten sitzend oder auf Kabeltrommeln unseren .Edelwein abstellend,  erfüllt sich oberflächlich der Wunsch nach schnörkelloser und potentiell alternativer urbander Kultur. Doch zurück zur Kunst - genau in jenen ja so unvermeidlich gewordenen Paletten , die dem Schicksal aller Moden - dem Verschwinden- anheim zu fallen drohen, erfüllt sich ein Merkmal auch der künstlerischen Bricolage -  der Rekontextualisierung von Alltagsgegenständen, ihrer Funktion und Bedeutung. In der Kunst kommt in diesem Zusammenhang jedoch das Feld einer neuen poetischen, intellektuellen, emphatischen Sinnstiftung hinzu  (die Palette erfüllt lediglich einen neuen Zweck als Sitzmöbel).

Wie ist das Verhältnis zur Arte Povera?

Die Einfachheit der Mittel betont das Demokratische. Die Gegenstände selbst müssen nicht zwangsweise arm sein, sie müssen verfügbar sein - vor Ort oder zufällig gefunden. Sie stellen den Künstler-Denker-Arbeiter vor eine Aufgabe des Sinnstiftens: Schau her, meine Kunst ist kein Geheimnis, Du brauchst dafür nichts Besonderes (heißt im Umkehrschluss: Die Kunst ist überall, Du musst sie nur entdecken, hervorheben, das Unscheinbare hat einen Wert in Kontexten.)

Wie ist das Verhältnis zum Ready Made?

Die Rekontextualisierung, durch die etwas zur Kunst wird, teilt sich die Bricolage mit der Tradition des Ready Made. Auch der Sperrmüll hat eine lange Tradition in der Kunst, beispielsweise bei Künstlern des Nouveau Realisme oder im Fluxus - man denke nur an Dieter Roths "Große Tischruine". Alltagsgegenstände sind allgegenwärtig in Installationen. Hinzu kommt jedoch bei der Bricolage eine gewisse Betonung handwerklichen Dilettantismus und des Provisorischen. Darin unterscheidet sich die B. übrigens auch von "Upcycling". Natürlich ist eine Kunst, die ausschließlich Gefundenes nahezu unverändert verarbeitet, umweltschonend. Sie ist quasi genügsam. Und Künstler wie Philidia Barlow etwa ändern auch ihre eigenen Kunstwerke ständig, verwenden Teile wieder, und setzten den Kreislauf somit in ihrer Kunst fort.

Im Prozess des Zur-Kunst-Werdens steht die Einfachheit der Mittel im Vordergrund. Setzen, stellen, legen, kleben, umwickeln, stecken usw.  Ein wichtiges Hervorhebungsmerkmal innerhalb der Installationskunst scheint neben dem Stilistischen eine bestimmte Haltung des Künstlers/der Künstler zu sein: Dass die Dinge lediglich arrangiert zu werden scheinen, dieses Merkmal des augenscheinlich - mit Vorsicht formuliert - Beliebigen - rückt die Bricolage in die Nähe des Spiels. Es ist eine Beweglichkeit und  Sensibilität der Umwelt gegenüber, die die  Bricolage als Haltung  auszeichnet. Insofern können Installationen, die mit Fotografie und Alltagsgegenständen arbeiten ,  aufgrund ihrer Situationsbezogenheit/Ortsspezifik durchaus auch der Idee der Bricolage nahe stehen. So gesehen ist  die Bricolage ein Konzept, das sich  durch Achtsamkeit und Reaktionsstärke auszeichnet.. Zwar können sich Elemente der Bricolage und der Konzeptkunst verbinden und sogar in ihrer Aussagekraft stärken, aber die Haltung der Welt gegenüber - wenn ich das mal so groß formulieren darf - ist meiner Meinung nach ein vitalerer, assoziativerer, im Sinne von ad-hoc-Poesie. Hier ist auch das Scheitern noch möglich oder zumindest angedacht. Etwas, dem in der heutigen Welt sonst kein Platz mehr eingeräumt wird.

Die Möglichkeit , sich durch "wildes Denken" unter Hilfe einfachster Mittel zu höheren Sphären der Kreativität aufschwingen zu können 

- nichts anderes tut ja übrigens die Lyrik, in der im Kern nichts anderes sich vollzieht als Rekontextualisierung von Wörtern und Phrasen - wartet nur darauf, ausgeschöpft zu werden.

Die Verunsicherung wirkt dabei , wie so oft in der heutigen Kunst,  als Katalysator ;  wir vollenden das Werk als Betrachter durch die Beweglichkeit unserer eigenen Fantasie. Und gesellschaftskritisches Potential schlummert in der kleinsten Schraubenmutter, triffst Du nur das Zauberwort.