EINTAUCHEN

Ja, heute tauchen wir in etwas ein. Das Verb finde ich gar nicht so uninteressant als Beschreibung auch für die Rezeption der Bilder, die uns hier gerade umgeben. Malerei kann einem ja unterschiedliche Rezeptionsprozesse abverlangen: Wir müssen als Betrachter manchmal viele einzelne Elemente und Hinweise im Bild zusammenfügen, oder wir haben vielleicht das Gefühl, dass wir uns nach einem intellektuellen Überbau strecken müssen, um uns in ein Bild ganz "hineinlesen "zu können; oder aber wir sind berauscht von und überfordert durch einen Überfluss an Farbe und Form. Hier sind wir auf den ersten Blick mit einer angenehmen Ruhe, Reduktion und Monochromie konfrontiert und tauchen durch eine erste Klarheit hindurch in Zwischenräume/Farbschichten / uneindeutige Formen ein.

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Die Ausstellung teilt sich in zwei Bereiche: In Landschaftsbilder, die von einem Aufenthalt auf Spitzbergen inspiriert sind, sowie figurative Abstraktionen. Beide Bereiche, das wird noch zu zeigen sein, stehen in einer interessanten Relation zueinander.

Im Interesse der Künstlerin steht die elementare Natur im "hohen Norden" -  wie auch ein Bild betitelt ist. Hier ragt eine Gletscherwand als ebenso kompakte Farbmasse wie Himmel und Meer parallel zur Bildfläche ruhig und majestätisch auf, dort zeugen "tanzende"  Blautöne von klarem Ultramarin über helles Türkis bis hin zu tiefem Blaugrün von Phänomenen im "Eismeer" - so ein weiterer Titel - nach einem Gletscher-Abbruch.

Natur steht uns gegenüber als etwa Gemaltes, nicht als fotorealistisches Abbild einerseits oder rein abstraktes Gegenbild - vielmehr scheint die Naturdarstellung auf das Wesen der Malerei selbst gerichtet und aus dieser hervor zu gehen. Die Malerei - mal fließend, mal dünn geschichtet, mal spröde, mal weich, mal in klar umrissenen Konturen, mal flüchtig - wird exponiert, in dem Maße wie die Natur reduziert wird, zugleich die Phänomene der Natur durch Malerei evozierend.

Das Bild "Auflösung" fängt zunächst den Blick mit weißen und blauen vertikalen Strukturen. Dann registriert man eine höhere Konzentration von Weiß ganz unten und eine winzige, fast aberwitzig dezente Kante am oberen Bildrand, die der Struktur etwas Fallendes verleiht. Im Bild "Eistanz" wird nicht durch illusionistisch gemalte Tiefe, sondern durch einen gestischen weißen Farbschleier, vor dem auf einer weiteren Ebene etwas Lineares "tanzt", Räumlichkeit erzeugt.

 Titel wie die genannten "Eistanz" und "Auflösung" weisen auf eine Verbindung der beiden Ausstellungs-Bereiche, der Naturbilder einerseits und der abstrakten Figurationen andererseits. Fallend, tanzend, auflösend: Es scheint nur ein gradueller Unterschied zu Titeln, die stärker auf menschliche Eigenschaften verweisen, zu bestehen, wie "verharrend" , "vereinnahmen" oder "Ausflucht". 

Die Figuren sind zum Teil ganz zart pastellfarben und in klaren Linien umrissen. Angesichts der bewussten Kargheit der künstlerischen Mittel und der lichten leeren Bildräume, scheint etwa das Bild "Vereinnahmung" ebenso monumentale Ruhe auszustrahlen wie der Gletscher im Bild "hoher Norden". Andere Formen wiederum wirken wie quasi "aus Natur ausgeschnitten" - mal aus weich fließenden, mal aus fester zerklüfteter oder "zerkritzelter" Materie bestehend. Wir ordnen diese Formen, die häufig in sich verschränkt bzw. verkeilt , "mehrarmig" sind als vage anthropomorphe Wesen ein, die in leere Räume ausgreifen, sich bewegen oder bewegt werden. Selbst in zufällig durch den Malprozess entstandene Formen wollen wir etwas uns Ansprechendes hinein lesen. Das macht den interessanten Schwebezustand dieser Abstraktionen aus, dieser Wesen ohne Zeit und gegenständlichen Raum - was sie an etwas Ursprüngliches, an die Natur selbst anbindet.

Zugleich existiert innerhalb dieser Wesen Dualität, Verschränkung, Nähe - Symbiose vielleicht auch mit anderen Lebewesen. Wir sind soziale Wesen. Das große Bild "Ping-Pong" im Schaufenster, diese behäbigen, sperrigen Augenwesen, die sich dennoch so harmonisch aneinander schmiegen, haben fast etwas rührend Komisches, das uns, etwas pathetisch formuliert , mit unserer Unzulänglichkeit angesichts unseres Wirkens und Wollens als Menschen auf Erden ein wenig versöhnt.

Die Figurationen wirken als Kunstwerke der heutigen Zeit entbunden - eher an Wesen eines Gerhard Altenbourg oder eines Max Ernst bzw. anderer abstrakter Surrealisten gemahnend. Aber sie sind auch untrennbar von der Erkenntnis, dass der Mensch trotz seiner Selbstermächtigung zu allem und jedem als "Krone der Schöpfung" dennoch immer von der Natur abhängig ist. Zugleich ist die Natur auf diesem Planeten nicht mehr ohne den Menschen denkbar. Es gibt keine reine Natur, keine Sphäre mehr, in die der Mensch durch die Art und Weise, wie er lebt, die Natur nicht verändert hat. Das zeigt sich eben vor allem in Regionen wie Spitzbergen. Wenn die Natur dann zurück schlägt, auch das ist mittlerweile globale Realität geworden, wird uns immer wieder schmerzhaft vor Augen geführt, dass wir ein Teil von ihr sind ... und große Künstler wie Max Ernst haben das schon früh gewusst bzw. voraus geahnt.

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Grundlage für die Bilder sind Fotografien und Skizzen nach der Natur. Die Skizze und das Zeichenbuch sind etwas Intimes, Schnelles, Bewegliches, das auch durch die mittlerweile allgegenwärtige Fotografie nie ersetzt werden kann, weil es die Positionierung dem Objekt gegenüber schärft. Die Bedingungen des Veränderlichen, dem man sich gegenüber sieht, schaffen einen eigenen Reiz. Das Suchen nach Linien - das schnelle Umkreisen des Gegenstands oder des Gedankens mit reduzierten Mitteln - verbindet Fokussierung und Konzentration mit der Möglichkeit des Loslassens bzw. der Befreiung von Perfektion - was wiederum auf die im Atelier geschaffene Malerei abfärben kann.

Es lohnt sich - mit diesem Appell möchte ich schließen - mal wieder einen Stift in die Hand zu nehmen und mit diesem einfachen Mittel der Welt zu begegnen - egal, ob man glaubt , zeichnen zu können oder nicht.

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