Der Form halber

[...] 

Der Begriff "Form" ist zwar schwierig, weil er so allumfassend ist und sich auf konkrete Dinge ebenso wie auf gesellschaftliche Strukturen oder zwischenmenschliches Gebaren beziehen kann (worauf die Titel-Phrase ja anspielt), aber im Bezug auf die hier zu sehende Kunst ist er dennoch interessant, weil damit sowohl zwei- als auch dreidimensionale Gebilde bezeichnet werden können. Und genau dieses Spannungsverhältnis zwischen Körper und Fläche ist hier allgegenwärtig. Es handelt sich in der Ausstellung nicht um eine klare Gegenüberstellung von Objekt hier - Malerei da.

Die jeweiligen Arbeiten selbst leben von der Ambivalenz zwischen Körper und Fläche.

So sind die Papierarbeiten nicht allansichtig und umgehbar, sondern bleiben als rückwärtig plane Formen stets der Wand verhaftet.

Das einzelne dünne Papier bleibt den Objekten als Lage, d.h. als etwas Geschichtetes, Collagiertes, Aneinandergestückeltes, Gerissenes oder Geschnittenes sowie durch die jeweiligen Farb- und Transparenznuancen - je nach Formungsprozess - eingeschrieben.

 

Papier lässt sich durch einfachste skulpturale Gesten, damit werden wir schon im Kindergarten vertraut gemacht, in eine neue, sich selbst tragende Form bringen bzw. erhält durch knüllen oder hin und her-knicken eine gewisse Festigkeit bzw. Standfestigkeit. 

Woraus Papier hergestellt werden kann und was Künstler aus Papier machen, ist eine "Wissenschaft für sich" und als selbständiges künstlerisches Feld noch eher jung, aber auch eine Kunst, die immer differenzierter wird. Aufgeweichtes, zu Brei verflüssigtes Papier, das Pappmaché, in früheren Epochen zunächst Deko-Gegenständen vorbehalten, wird schon seit der klassischen Moderne vereinzelt als autonomes künstlerisches Material verwendet und ist heute ein selbstverständlicher, weil auch enorm vielseitig verwendbarer Werkstoff.

Der schon in früheren Zeiten populäre Scherenschnitt hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten in der Kunst zu raumgreifenden Szenerien weiterentwickelt. Hier sind wir wieder beim Thema: Auch diese alte Technik wurde also vom Zwei- ins Dreidimensionale überführt. Aus fragilem Material wird etwas geschaffen, das sich quasi im Raum behauptet. 

Aber das hier soll kein Abriss über Papierkunst werden.

In Zeiten jedenfalls, wo wir Millionen geschriebener Sätze auf winzigkleinen digitalen Medien zu speichern in der Lage sind und Papierrollen und große Folianten lange der Vergangenheit angehören, wo uns Papier im Alltag überwiegend als "lebloses" Druckerpapier oder als Verpackungsmaterial begegnet, lohnt es sich, in diese besondere Ästhetik von Leim und Chinesischen Papieren, die die Künstlerin verwendet, einzutauchen.

Ein weiterer Übergang zwischen Zwei- und Dreidimensionalität besteht in der Bearbeitung der Oberfläche. Knittriges, Übertünchtes, Aufgeworfenes - lebendige Oberflächen bilden häufig bei den hier gezeigten Werken einen Übergang zu Elementen gestischer Malerei (der ja das Papier für gewöhnlich nur als Träger dient) sowie Skripturalem/Gekritzeltem, und vermitteln ebenso wie die Collage zwischen Objektcharakter der Gesamtform und beschreibbarer Haut.

Gestisch-expressive Malerei vermittelt immer auch Bewegung - und schon sind wir bei einer weiteren Dimension, der des Raum-Zeitlichen auf der Fläche. Dies kulminiert in dem großen Objekt auf der langen Wand, in dem alles hier bisher Gesagte eigentlich zusammenkommt: Bei der Arbeit mit dem Titel "Arkadien - Mythos und Realität " haben wir es mit zwei Hauptansichten zu tun - jeweils eine wenn man von links oder rechts her schaut. Wie beim Daumenkino springt das Auge von einer Seite auf die nächste und setzt sich die von links unten nach rechts oben in rhythmischer Variation entwickelte Komposition zusammen. Das Arkadien-Thema als ein bedeutendes Motiv der Kunst früherer Epochen (v.a. der Barockzeit) - die Dialektik zwischen realem geographischem und mythischem Ort, zwischen Gegenwart und verlorenem Idealzustand des vielzitierten "Et in arcadia ego - Auch ich bin in Arkadien gewesen", wird hier als eine rein ästhetische Geste thematisiert. Der Aspekt der Bewegung widerspricht der Statik der Dialektik - führt uns aber vor Augen, dass trotz allen Wandels und schnellen Fortschritts kulturgeschichtliche Topoi Gültigkeit haben und uns einbetten in etwas Größeres und Ursprüngliches.

Das Thema wird zu einer universell verständlichen Geste.

Räumliches bzw. Bewegung im Raum findet sich auch in den Malereien auf Leinwand wieder. Im Bild mit dem lapidaren Titel "Formiert sich" im Schaufenster-Bereich scheint sich eine Form aus einer wässrigen Farbsuppe lösen und sich positionieren, im Bild verankern zu "wollen" - so, wie das Bildobjekt vor der Vitrine im kleinen Raum "schwebend" in einem Metallrahmen verankert ist.

In dem kleinen Bild "Allesschonmaldagewesen" hängt von einer gemalten Form (einer Art minimalistischem Klotz?) als Collagefetzen ein winziges Teil aus einer Abbildung der Laokoon-Gruppe, einem der bekanntesten und vieldiskutierten römisch-antiken Kunstwerke. An diesem Beispiel einer Skulptur auf der Grundlage eines Mythos wurde im 18. Jahrhundert der schon in der Spätrenaissance populäre Wettstreit unter den Künsten aufgegriffen und der Vergleich zwischen Malerei und Skulptur wieder einmal um den Vergleich zwischen Bildkunst und Literatur erweitert. In seiner berühmten Laokoon-Abhandlung etwa behauptet Gotthold Ephraim Lessing den Vorrang der Literatur vor Skulptur und Malerei. Das Leinwand-Bild mit dem kleinen "Zitat" hängt in der Ausstellung neben einem quasi Form gewordenen Gedicht Ernst Jandls .... Von zwei mintgrünen Streifen wirkt die Bildfläche hier wie durchgestrichen. Diese Streifen sind zugleich reales Abfallmateriall - Maler-Kreppband, wie es auch viel von Künstlern verwendet wird. Unerschrocken werden hier die großen Streitthemen vergangener Epochen aufgegriffen und frech in die heutige Zeit überführt.

Normative Kunstbetrachtungen sind heutzutage in eine Wertschätzung individuellen künstlerischen Ausdrucks übergegangen. Aber Mythen und Formen leben in uns fort. 

Subtile Verschränkungen der Grundprinzipien der Kunst, mal groß und mit Pathos, mal ganz klein und verspielt, sind Möglichkeiten auf der Suche nach einer Sprache. Sinnbildlich für diese Suche könnte das Arkadien-Motiv stehen. Jeder Künstler trägt gewissermaßen sein eigenes Arkadien in sich. Und in Zeiten der manchmal eben doch wieder etwas zu normativ ausgerichteten gesellschaftlichen Diskussionen, der Rechthaberei, aber auch der Verpflichtung zu schnellem Glück und Erfolg, kommt der Kunst auch immer die wichtige Aufgabe zu, einer unbestimmten Sehnsucht Raum zu geben.

Share by: